Biografisches
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Aufgewachsen zwischen Schweinehälften und Schafsdünndarm,
knackiger Kleidung für saftig-braune Wiener Würstchen.
Salzige Wollbündel, verschlungen, immer bereit, Knoten aus-
zubilden, unlösbar, in kleinsten Wunden brennend, Fegefeuer an
klammen Fingern.
Töten von Tieren ist Gewohnheit, Prozess, automatisiert, abgelöst
vom Lebenlöschen aus der Zeit. In schwarzen Stiefeln und mit
Gummischürze wird das Mitleid abwaschbar. Einfach nur Arbeit,
Fleischerwerb wie Brotebacken. Keine Schuld, nur Tatsache, ja
Sache, nicht Leben eben.
Erinnerungen? Nein, Manifestierungen!
Internat zwischen schwarzen Schwesternflügeln, fern, in wenig
sanfter Umarmung. Hinterfotzige Gewalt mit kalter Rache in den
Augen, neben sanfter Hingabe. Heimweh nach dem Gewohntem,
nicht nach der Wärme. Hände, die schwer von Arbeit sind, strei-
cheln nicht über Wangen. Nur manchmal erklingen Saiten einer
Mandoline, gespielt mit erfrorenen Fingern, zu breit für das weib-
lichste aller Instrumente. Für wenige Augenblicke eine andere Mut-
ter. Eine Mutter, die Geschichte hat und ein Leben davor, vor mir.
Beniamino Gigli und Garmischer Saitenmusi, auf kleinen schwar-
zen Scheiben, zu Weihnachten, Zeitreisen.
In meinem Kopf klingt es weiter, ich kehre zurück und probiere
ihr anderes Leben aus, im Gymnasium, in München, in fremder
Welt mit fremder Sprache. Anwaltskinder sprechen Deutsch als
Vatersprache.
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Dann – Theater. Da sind sie wieder, meine Mutter auf der Bühne
und mein Vater, wenn er frei war, der scheue Diktator. Und da bin
ich zwischen Orff und Ionesco, zwischen Sprache und Mathematik,
allzu lange nicht erwachsen. Aber auf der Bühne bin ich alles, was
ich sein könnte. Der Schauder in den Abgründen von Tschechow
und der zu Tode logische Karl Valentin.
Mathematikstudium als Antwort auf die Unsicherheit, Bank aus
Feigheit vor der Bühne. Bunter Vogel in fremder Geschäftswelt,
»immer anders« wird zum Prinzip, Schreiben zum Ausweg oder
Weg oder Abgrund. Erfolg verwunderlich für alle, am meisten für
mich selbst.
Schwarz leuchtet auf blassem Hintergrund wie Licht,
das war es vielleicht. Nebenher Vorstand auf der Bühne und immer
noch Todesengel in Schlachtfeldern der Ernährung, morgens in
kalten Fliesenräumen, ehe die Sonne aufgeht, schmutzige Hände in
üblen Gerüchen, am Abend schon in Paris, in Dubai, in wo auch
immer. Zwischen blauen Anzügen, der einzige mit Schmutz unter
den Fingernägeln und fremd dem eigenen Tun, auf allen Seiten.
Schreiben zum Ausweg oder Weg oder Abgrund.
Mein Buch, Schubladen-Ich auf tausend Blättern. Fraktale Tage-
buchnotizen ohne zeitliche Abfolge. Herausgepickt ohne Wertung.
Fraktale haben keine Ordnung, sie sind sich nur selbst ähnlich, egal
wie tief man eindringt. Die Hoffnung bleibt in sich, trotz allem
einmalig zu sein, die schönste Alternative zur Unsterblichkeit und
die Schwester der Eitelkeit. Glücksmomente und salzig brennende
Fingerspitzen.